Okt.28
Der Koi als Haustier
Beobachtung eines Anfängers
Karpfen
– Verzeihung, Brokatkarpfen – sind wunderschöne Haustiere. Aber sie
möchten nunmal im Wasser leben, was die ganze Sache spannend macht. Von
Haus aus sind Karpfen sehr robuste Fische. Sie können noch mit
Wasserwerten überleben, bei denen andere Fische längst auswandern
würden (wenn sie denn könnten). Insofern sind sie eigentlich
Anfängerfische.
Allein die Größe – und damit die Menge ihrer Ausscheidungen – bereitet Kopfzerbrechen.
All dies im Hinterkopf wird nun der Teich geplant. Und mit dem Teich natürlich auch
die Technik. Dabei haben wir ein diffuses Wunschbild von artgerechter
Haltung, glücklichen Lebewesen – einfach dem berühmten „Stück Natur vor
der Haustüre“ im Sinn…
Aber was machen wir denn eigentlich? Wir versuchen, einen Lebensraum „im Kleinen“
nachzubilden. In der Natur stellt sich entweder ein stabiles
Gleichgewicht zwischen Fauna, Flora und Wasserwerten ein (das sehr
unterschiedlich ausfallen kann), oder das Gewässer kippt um (meist
durch äußere Störgrößen, bevorzugt menschliche).
Unser kleines Gartengewässer ist etwa soweit entfernt von der Natur, wie Manhattan
vom tropischen Regenwald. Es ist nämlich völlig überbevölkert, hat
einen unnatürlichen Anspruch an Sauberkeit und Klarheit und soll dann
noch den Einwohnern ein erträgliches Leben bieten.
Also müssen wir in unser kleines Manhattan Energie und Nahrung bringen, anschließend den
Müll wegräumen und von Zeit zu Zeit die Straßenreinigung durchschicken.
Darüberhinaus müssen wir uns noch mit Krankheiten – z.T. auch
Zivilisationskrankheiten – beschäftigen, da wir ja auch bestrebt sind,
die Einwohner möglichst gesund zu halten (habe noch nie ein Wildtier
ohne jede Menge Parasiten gesehen).
Und je mehr Einwohner unser Manhattan hat, desto heikler wird es, den Lebensstandard aufrecht
zu erhalten. Die notwendigen Eingriffe von außen werden immer größer…
Irgendwann haben wir es dann geschafft. Meist nach der zweiten oder dritten Filteranlage
haben wir die Spirale gestoppt. Die Wasserwerte sind stabil, das Wasser
ist glasklar und sieht unwahrscheinlich gesund aus.
Ach übrigens – die meisten schädlichen Stoffe im Wasser sind unsichtbar. Und was dem
Betrachter – also uns – zur Entspannung gereicht, ist purer Stress für
unsere Lieben. Wir wollen zwar unsere Fische immer beobachten können,
aber leider wollen unsere Fische uns nicht immer sehen. Karpfen fischen
viel lieber im Trüben. Und wenn schon glasklar, dann würden sie sich
zumindest gerne verstecken können. So ist er halt, der Karpfen.
Zurück zu unserem stabilen Wasser. Denn jetzt schlägt es unbarmherzig zu. Das
„Modelleisenbahnsyndrom“. Modelleisenbahnen sind tolle Spielzeuge – vor
allem für die Väter. Und sie werden nie fertig! Nicht weil sie nicht
schön wären – nein, weil sie dann nicht mehr interessant wären!
Diesen – zumeist männlichen (ich darf das sagen, ich bin selber einer) – Wesenszug macht
sich die Industrie zunutze. Solution, Beadmaster, Turbocleaner,
Estrodingsbums… Filtertechnik im schnellen Wechsel, vergleichbar mit
Sommerkollektionen, wie sie in London, Paris, New York Jahr für Jahr
der Modewelt präsentiert werden. Und ein Sommerkleid der letzten Saison
ist ja schließlich fast so schlimm, wie die Tageszeitung von gestern.
Dabei erinnern die Aussagen der Hersteller doch sehr an Waschmittelwerbung – noch weißer, noch sauberer, noch aprilfrischer…
Ach ja, und wenn gerade keine neue Kollektion auf dem Markt ist, oder wenn nach dem
Geldbeutel noch so viel Monat übrig ist, dann gibt es ja auch immer
noch viele preisgünstige Mittelchen, die wir uns in den Teich kippen
können. Auch die können aus Brühe Trinkwasser machen. So steht’s
zumindest drauf.
Die Inhaltsstoffe stehen leider meist nicht drauf. Sind ja auch keine Lebensmittel –
zumindest nicht für uns Menschen. Ein Schelm ist, wer Böses dabei denkt…
Was wollte ich eigentlich sagen? Ach ja, ich wollte eigentlich nur unser Hobby in
Erinnerung rufen. Es sind diese drolligen Kerlchen. Spritzig,
dynamisch, witzig, wenn sie klein sind. Majestätisch, Ruhe
ausstrahlend, wenn sie groß sind. Sie sind handzahm, es sind kleine
Persönlichkeiten, jeder ist irgendwie anders. Sie wachsen einem ans
Herz, viele haben Namen (nein, ich meine nicht die japanischen, sondern
Namen wie Kurti oder Paulchen), es sind besondere Fische.
Es sind KOI!
Autor: Hubert Müller-Lancé